… die Kreuzgangspiele 2020…hervorragende Inszenierungen, tolle Kommentare
nachfolgend können sie einige aktuelle Kommentare lesen:
Das aktuelle Thema und die hervorragende Inszenierung hätten mehr Aufmerksamkeit und Zuschauer verdient.
Freitag, Juli 3, 2020
Das „Decamerone“ in Feuchtwangen
Schöne Welt, wo bist du?
FEUCHTWANGEN — Eigentlich stand ja „Dracula“ auf dem Spielplan. Nur – wie macht man das: ein Vampirbiss bei 1,5 Metern Abstand?
Aber die Kreuzgangspiele in Feuchtwangen hat man deswegen noch lange nicht gestrichen. Es wird nicht gestreamt fürs Sofa zuhause, sondern Kusshändchen wirft man sich sehr lebendig über die ganze Bühnenbreite zu.
Und das in einer der passendsten Spielvorlagen, die man für heute finden konnte: Giovanni Boccaccios „Decamerone“. Das stammt aus der Pestzeit von 1348, enthält zehn mal zehn Erzählungen, die sich eine fashionable junge Gesellschaft erzählt. Die ist aus dem verseuchten Florenz auf ein toskanischen Landgut mit bestens gefülltem Weinkeller geflüchtet, breitet weiße Tischtücher aus, streut „Pfingstblumen“ und trinkt aus silbernen Bechern.
Intendant und Regisseur Johannes Kaetzler hat mit der Dramaturgin Maria Wüstenhagen aus Boccaccios Text sieben Programme destilliert, jedes wird viermal gespielt, das erste („Passionen Eins # Welt“) hatte bei bestem Kreuzgang-Wetter eine umjubelte Premiere, die anderen folgen bis Mitte August.
Die ganze Theater-Crew (Maria Wüstenhagen: „Wir können das ursprünglich engagierte Ensemble voll einsetzen.“) ist auf der toskanisch- fränkischen Bühne. Erzählt wird in schwarzen Pest-Mänteln von der Seuche damals, man singt Songs von heute und spielt zwei Geschichten aus dem italienischen Klassiker. Etwa die des Ciapellett von Prato, der vom buckligen Gauner und Schuldeneintreiber nach einer verlogenen Lebensbeichte zum Heiligen wird: Welt, du willst betrogen sein.
Danach kommt noch die „Ring-Parabel“, mit der der jüdische Kaufmann Melch isedech Kopf und Vermögen rettet – kennt man aus Lessings „Nathan der Weise“. Zum Schluss singen alle „El Dorado“, den kritischen Finanzkrisen-Song von „Iron Maiden“. Nach „Welt“ steht über den anderen Passionen als Motto „Herzschmerz“ oder „Happy End“.
Und getreu Boccaccio gibt es viel Musik: Für Feuchtwangen haben Bernd Meyer und Ulrich Westermann Vergnügliches und Melancholisches zusammengestellt. Denn daran lässt der Abend keinen Zweifel: Man wollte kein heiteres Allotria zur Erbauung des Corona-geplagten Publikums, sondern der Grundton auf der Kreuzgangbühne heißt „Melancholie“ – und auch die durchaus möglichen Requisiten werden der Phantasie der Zuschauer überlassen.
Keineswegs dem Zufall überlassen ist die Erfüllung sämtlicher, wenn auch gelockerter Vorschriften: rot livrierter Empfang, Führung zum vorgesehenen Platz (entweder so lo oder als „Virengemeinschaft“), geordneter Abmarsch nach einer guten Stunde – dafür gibt es nach der Verdopplung der möglichen Zuschauerzahlen open-air noch Karten: für Samstag und Sonntag jeweils um 20.30 Uhr, und im Zuschauerraum bracht man keine Maske mehr!
Nächste Woche geht es mit „Glück“ weiter. Das tapfere Kreuzgang- Ensemble mit seiner mutigen Nicht-Alles-Streichen-Entscheidung braucht das für die noch vorgesehenen Stücke in Inszenierungen von früher und für das umfangreiche Kinderprogramm.
„Neues Spiel. Neues Glück“ heißt die Devise – getreu der Feuchtwanger Spielbank – auch mit der heimischen Star-Sopranistin Christiane Karg. Bevor sie ab September wieder an der Bayerischen Staatsoper singt, hat sie ihr „Kunst Klang“-Programm in die Festspiele integriert.
Heute Abend um 20 Uhr, mit Kammermusik dannam26. Juli, mit Schubert- Liedern am 13. August und passend zur Zeit: „Schöne Welt, wo bist Du?“
Uwe Mitsching
Statt „Dracula“, aber genauso düster: Die Feuchtwanger Kreuzgangspiele bieten als Alternativprogramm Geschichten aus dem „Decamerone“ von Boccaccio.
Foto:
Forster/ Kreuzgangfestspiele
Montag, Juli 6, 2020
Christiane Karg sang Lieder von Gustav Mahler
„Des Mädchens Wunderstimme“
Von Jens Voskamp
FEUCHTWANGEN – „Kein’ Musik ist ja nicht auf Erden, die unsrer verglichen kann werden.“ Keine Frage, dass Gustav Mahler diese Zeile aus der Liedsammlung „Des Knaben Wunderhorn“ durchaus selbstbewusst auf sein eigenes OEuvre bezog. Er hat es nicht allein als Kunstlied vertont, sondern auch zentral in seine vierte Sinfonie postiert.
Wie sehr man in Mahlers Liedschaffen auf den Atomkern seiner kompositorischen Philosophie stößt, war bei einem außergewöhnlichen Konzertereignis in Feuchtwangen zu erleben.
Quasi mit „Des Mädchens Wunderstimme“ veredelte Christiane Karg einen Reigen aus der Sammlung und schmuggelte mit „Hans und Grete“ sogar ein Poem Mahlers darunter, das in seiner Naivität und gewollten Kindlichkeit allerdings keine Empfehlung für den Komponisten als Dichter abgibt.
Sensibilität am Scheitelpunkt
Am Klavier im Corona-bedingt mäßig gefüllten Kreuzganghof saß einer der besten Liedbegleiter seiner Zunft: Gerold Huber, der Stammpianist von Christian Gerhaher und vieler namhafter Sängerpersönlichkeiten, trifft haargenau jenen Scheitelpunkt, an dem Sensibilität in Manierismus abgleiten könnte. Mit traumwandlerischer Sicherheit beschreitet der Würzburger Musikprofessor den Grat von instrumentaler Unterstützung und kontrastierender Klangmalerei.
Auf diesem Fundament liefert Christiane Karg eine beeindruckende Palette ihrer großen Ausdrucksvariabilität ab: Sie trifft den schlichten Volkston genauso wie das Verschmitzte und schafft es in „Um Mitternacht“, das Pathos am Ende nicht aufgesetzt, sondern sehr gefühlt erscheinen zu lassen. Sie empfindet Depression („Ich bin der Welt abhanden gekommen“) genauso schlüssig nach wie sie sich auf de n derben Witz bei der „Fischpredigt des Antonius“ versteht.
Die 39-Jährige gebietet über erstaunliche stimmliche Mittel. Natürlich singt sie nicht vibratolos, aber ihr apart schimmernder Sopran strömt ganz gleichmäßig, ungekünstelt und stellt sich vollkommen in den Dienst des Wortes.
Vor kurzem wagte die Feuchtwangerin ein reizvolles Experiment: Gustav Mahler hatte im November 1905 eigenhändig ein paar Klavierparts aus den „Wunderhorn“-Liedern auf Welte-Mignon-Platten für die Reproduktion auf mechanischen Musikinstrumenten eingespielt. Karg hat 115 Jahre später die Gesangsanteile hinzufügt und sich auf Mahlers viel zu schnelle Tempi eingelassen: „Ich musste mich ganz seinem Diktat beugen“, sagt sie schmunzelnd über diese spezielle „Originalklang“- Erfahrung.
Als Interpretin i st sie ohnehin auf Entschlackungskurs:Es gibt nicht viele Aufnahmen, die aus diesem Beethoven-Jahr bleiben werden. Die überwältigend unprätentiöse Einspielung der Neunten mit dem Freiburger Barockorchester unter Peter Gülle, bei der Karg im prominenten Solistenquartett mitwirkt, dürfte darunter sein und das Jubeljahr weit überdauern.
Und doch ging die Augenblickskunst Musik bei diesem Feuchtwanger Mahler-Symposion viel zu schnell vorüber.
Im Oktober will das Duo Karg/Huber im Wiener Musikverein mit ihren Mahler-Lesarten punkten. „Streaming ist nur ein Notbehelf“, sagt ruft Karg in die kleine Menge. „Aufgrund der Sicherheitsbestimmungen der Bayerischen Staatsregierung musste das Programm gekürzt werden“, steht im Textheft.
Möge diese Zensur bald wieder vorbe i sein, denn beide Folgeauftritte von Karg mit dem Eliot-Quartett und ihre Schubertiade mit Gerold Huber in dieser Kreuzgang/Kunst Klang-Saison sind längst restlos ausverkauft: Qualität spricht sich herum!
Entfaltet in Gustav Mahles Liedern die ganze Palette des emotionalen Empfindens: Die Sopranistin Christiane Karg in Feuchtwangen. Am Klavier begleitete sie dort kongenial Gerold Huber.
Foto: Elke Walter